Re: Hier was Interessantes, was ich gefunden habe

El Buitre, Wednesday, 11.08.2004, 04:15 (vor 7627 Tagen) @ MAS

Hallo zusammen,

Da hat sich ja eine weitgefächerte Diskussion ergeben -- und mir stellt sich jetzt die Frage, ob von allen bisher Beteiligten auch jemand darunter ist, der selbst Crossdresser/ Transvestit ist oder war (oder reden hier nur deutsche Landwirte über die Kiwi-Ernte in Neuseeland, sozusagen)? Also, hiermit meldet sich ein Ex-Transvestit zu Wort.

Zu diesem Thema sind mir zwei Sachen wichtig:

1)
@Ralf der I.:
Ich weiss zwar nicht, woher genau Du diesen Text hast, aber im "CrossDressing Guide, Version 6" von Agnes findet er sich 1:1 wieder. Wenn er von da stammen sollte, gebe ich hiermit den erwünschten Quellennachweis, um den die Autorin ausdrücklich bittet. Der hier (eventuell) von dort zitierte Textblock ist nur ein winziger Teil dieses Werkes, das ich dann auch allen Interessierten wärmstens ans Herz lege (da steht z.B. drin, wie Mann sich mit allen möglichen Tricks und Vorwänden "Damenkleidung", Feinstrumpfhosen etc. besorgen soll -- also genau das Gegenteil von dem, was wir fordern und tun, nämlich völlig selbstverständlichen Umgang mit diesen Sachen! Enthält aber auch für uns nützliche Dinge, wie etwas Stilkunde usw.)

Zitat von Agnes aus diesem monumentalen Guide -- knapp 1200(!!) Seiten, liegt mir als PDF-Version vor: "Die in diesem Guide enthaltenen Informationen können unter Beachtung der Urheberrechte anderer und meiner gerne von anderen genutzt werden. Ich bitte dann aber darum, dann einen Herkunftshinweis auf diesen CrossDressing Guide zu vermerken und mir die Verwendung mitzuteilen. Auch Links zu diesen Seiten (auch Einzelseiten) können gerne gelegt werden. ..."

Den aktuellen CrossDressing Guide (als HTML-Pages) von Agnes gibt es unter:
http://crossdress.transgender.at, eine Sub-Domain von
http://www.transgender.at)
(konnte da aber leider keine PDF-Version auf die Schnelle orten)


M.E. ist es wichtig zu betonen, dass der Textblock aus den USA stammt, wo immer noch in knapp der Hälfte aller Bundesstaaten das männliche Crossdressing unter Strafe steht! In Minesota oder am Missisippi z.B. kommst du womöglich in den Knast, bloß weil der Streifenbulle dich im Rock im Auto erwischt! Und Strandbullen in Florida gehen umgekehrt gegen zu schmale String-Tangas bei Frauen vor. (Da geht mir echt die Galle hoch: Wie können sich diese verkalkten Puritaner eigentlich erlauben, von einem 'alten Europa' zu reden?!?) In der EU herscht meines Wissens Kleidungsfreiheit, abgesehen von (sinnvollen) Exhibitionismus-Paragraphen, die in Deutschland mittlerweile endlich auf beide Geschlechter ausgedehnt wurden (was ich neulich irgendwo las -- hier?). Wir sollten bei der Diskussion also bedenken, dass wir hier ganz andere, bessere Voraussetzungen haben, und auf den allgemeinen Kulturunterschied muss man ja nicht weiter hinweisen.

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2)
Wie ich schon in anderen Threads hier schrieb, habe ich selbst eine Crossdresser/ Transvestiten-Phase als Übergang von Hosen zu Röcken/ Kleidern durchlebt, quasi als 'Verpuppungsphase': Von der Raupe zum Schmetterling. Von daher ist diese Thema äusserst wichtig für mich (gewesen). Also genau so einer, von denen Dieter spricht:
"... und da sind, wahrscheinlich sehr, viele, die einfach nur Spass an der breiten Palette von Formen, Farben und Schnitten der "Damen"-Kleidung haben und sie auch für sich gerne nutzen würden, und vermutlich glauben, das nur als TV wirklich tun zu können."
Das habe ich bereits in einem anderen (Mitglieder-)Forum versucht zu thematisieren, unter der recht provokanten Überschrift: "Transvestit aus Notwehr?"


Zitat von MAS: "Wir müssen dahin gehend argumentieren, dass das Tragen von Röcken und einigen anderen Kleidungsstücken nicht unbedingt Crossdressing oder Transvestismus ist."

Genau dieses versuchte ich hier im 'Reißverschluss-Thread' (auch basierend auf Begriffsdefinitionen von Agnes, i.Ü.) und zitiere mich nochmal:
"... ein offensichtlicher Mann in 'Frauenklamotten', selbst in einem Rüschenkleid und Stöckelschuhen, ist KEIN Transvestit und KEINE Tunte, sondern ein Mann mit nur etwas ungewöhnlicher Bekleidung. Erst wenn es in allem, im Gesamtbild, eine zunächst offensichtliche Frau ist, die man bei mehr oder weniger genauen Hinsehen oder -hören als biologischen Mann erkennen kann, dann ist es ein Transvestit, oder auch ein eben sehr femininer Mann (was für den Betreffenden eine sehr wichtige Unterscheidung darstellt)."
Das alles gilt auch mit umgekehrten geschlechtlichen Vorzeichen, dazu muss man nur andere Begriffe einsetzen. Wie andere vor mir, möchte ich anmerken, dass Transvestismus alias Crossdressing im ursprünglichen und eigentlichen Wortsinn (von vor vielleicht 50 oder 100 Jahren) genau das bezeichen würde, was wir machen, aber die Bedeutung dieser Begriffe sich so verwandelt hat, dass eine komplette (temporäre) optische Verwandlung zur Frau (oder zum Mann) darunter verstanden wird. Also für das 'männlich orientierte Röcketragen' gibt es kein Wort mehr -- das ist auch gar nicht nötig, denn es ist ja völlig normales Tagesgeschäft (für mich seit gut einem halben Jahr), genauso wie das Hosentragen für Frauen. Dies alles ist zumindest das Ergebnis meiner persönlichen Recherchen -- es gibt kilometerweise CD/TV-Forentexte, die sich allein um die Frage dieser Begriffsbestimmungen drehen: Metasprachlich nüchtern ist 'Crossdresser' = 'Transvestit' = 'Überkreuzankleider', begrifflich auf eine Person bezogen ist es das was es eben ist und damit millionenmal individuell verschieden... je tiefer man in dieses Problem eindringt, um so klarer wird, dass man es niemals mit ja/nein-Entscheidungen allein erfassen kann, denke ich.

Im Gegensatz zu anderen hier sehe ich bei mir eine feminine Seite, stehe dazu und benutze neuerdings auch meine Kleidung, um das ein bischen auszudrücken. Speziell die 0%-feminin-Selbsteinschätzung von Christian finde ich ziemlich, sagen wir, radikal, und frage deshalb: Bist Du Dir da wirklich sicher -- also hast Du z.B. bei einem Persönlichkeitstest als 100%iger 'Testosteron-Godzilla' abgeschnitten (was ja sein kann)?

Ich finde die Auseinandersetzung mit der Thematik CD/TV äusserst hilfreich, um sich selbst irgendwo und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu positionieren. Und speziell durch diesen Guide wurde mir recht schnell klar, dass professionelles Crossdressing eine sehr arbeits- und zeitintensive Sache ist, geradezu eine hohe Kunst, was auch schnell zu Lasten einer Parterschaft gehen kann -- und auch, dass ich auf diesen Aufwand keine Lust habe, bloß weil ich im Rock oder Kleid auf die Strasse gehen können möchte: Also warum nicht einfach Mann bleiben, aber (noch) etwas ungewöhnliche Kleidung tragen, und jut is?

Zur Frage 'Frauenkleidung'/ 'Männerkleidung': Langfristig hielte ich es für richtig, diese A/B-Trennung nicht bei Kleidung als ganzes (mit allen ihren Aspekten) zu machen, sondern einzig und allein bei den (Grund-)Schnitten für diese. Das macht ja auch anatomisch Sinn. Solange es nicht soweit ist (in den Köpfen der Modedesigner und Marketingstrategen), habe ich kein Problem, im praktischen Gebrauch erstmal weiterhin die ursprünglich und bisher vorgesehene Zielgruppe als Kriterium zu nehmen. Das führt dann aber wohl dazu, dass diese Begriffe irgendwann anders belegt sind als der ursprüngliche Wortsinn vorsah (genauso wie bei jetzt bei 'Crossdresser'/ 'Transvestit'), womit ich durchaus leben könnte
Grüsse aus Berlin
El Buitre


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