Re: Kopftuchverbot - Rockverbot??
Hi Folks,
ich habe mich des Themas in meinem interreligiösen Rundbrief (den ich nachher raus schicken werde, so dass Ihr hier exklusiv einen Teil davon vorweg bekommt) angenommen und gebe Euch hier das Inhaltsverzeichnis und dann das Kpoftuchkapitel wieder:
Inhaltsverzeichnis:
1.) WCRP-Veranstaltungen in Köln und Bonn
2.) Kathina-Fest im Bonn Buddhist Temple
3.) Buddhistisch Orientierte Gemeinschaften in Bonn
4.) Literaturtipps
4.a) Sufismus in Deutschland (von Udo Tworuschka aus der Yggdrasill-Liste)
4.b) Homosexualität und Islam (von Ismail Mohr)
4.c) Die Europäische Ökumenische Kommission für Kirche und
Gesellschaft (EECCS) als Beispiel für das Engagement des Protestantismus auf europäischer Ebene (von Hans-Ulrich Reuter aus der Yggdrasill-Liste)
4.d) Übersetzung der geistlichen Anleitung der Attentäter des 11. September 2001
5.) Kopftuchstreit
5.a) REMID-Infos
5.b) Aus dem IHV-Verteiler
5.c) Analoges? Das Pferdeschwanzurteil
5.d) Diskurs zu beiden Urteilen in der Männerrockbewegung
5.e) Ein paar Gedanken dazu von mir
6.) Artikel zum aufgehobenen Steinigungsurteil in Nigeria (von Dominik Schmidt aus dem IHV-Verteiler)
7.) Edward Said ist tot. (Von Meryem aus dem IHV-Verteiler)
8.) Museumstipp: Kunstprojekt WildCards
9.) Fernsehtipp: 100 Jahre Buddhismus in Deutschland (von Barbara Stupp vom WDR)
10.) Aufruf vom Interkulturellen Rat Für eine Kultur der sozialen Solidarität (von Alfred Weil vom Interkulturellen Rat)
11.) Ansprache zum Gebet der Religionen am 3. Oktober 2003 in Köln von Annette Esser, WCRP Köln/Bonn
12.) Nachgedanke von Yesche Udo Regel (http://www.yesche.de/)
**
5.) Kopftuchstreit:
5.a) REMID-Infos:
Der Streit um ein Stück Stoff erhitzt die Gemüter in unserer Republik.
Sachliche Informationen dazu finden Sie (wo sonst?) bei REMID auf der Informationsplattform Religion:
http://www.religion-online.info/home.html
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5.b) Aus dem IHV-Verteiler:
Auch im Verteiler der Islamischen Hochschulvereinigung Bonn wurden mehrere Links zusammengetragen von Dominik Schura und Nuri K.:
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Dominik-Schura@ihv-bonn.de [mailto:Dominik-Schura@ihv-bonn.de]
Gesendet: Mittwoch, 24. September 2003 10:27
An: neues@ihv-bonn.de
Betreff: SPIEGEL ONLINE - Verfassungsgericht: Lehrerin darf mit Kopftuch
unterrichten
Dieser Artikel wurde Ihnen geschickt von Dominik-Schura@ihv-bonn.de
Bitte beachten Sie:
SPIEGEL ONLINE hat die Identität des Absenders nicht überprüft
SPIEGEL ONLINE
24.09.2003
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Verfassungsgericht: Lehrerin darf mit Kopftuch unterrichten
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Der Kopftuchstreit ist beendet, zumindest juristisch. Am
Mittwochmorgen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die
muslimische Grundschullehrererin Fereshta Ludin ihr Kopftuch im
Klassenzimmer einer staatlichen Schule nicht abnehmen muss - ein
brisantes Urteil mit weitreichenden Folgen.
Den vollständigen Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266920,00.html
Zum Thema
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- Kopftuch-Kontroverse: Kulturkampf in Karlsruhe
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266826,00.html
- Kopftuchstreit: Kleidungsstück oder politisches Symbol?
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266726,00.html
- Alice Schwarzer zum Kopftuchstreit: Die Machtprobe
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,254053,00.html
- Kopftuchstreit: Symbolischer Stoff vor Gericht
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,251300,00.html
- Buddhismus als Schulfach: Einmaleins in Erleuchtung
http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,264075,00.html
- Kopftuchstreit: Barrikaden für die Barhäuptigkeit
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,189114,00.html
- Zitiert: Mit der Schultüte gen Mekka
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,259965,00.html
- Katholiken-Moral: Kann denn Liebe Sünde sein?
http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,250135,00.html
- Special: Schule
http://www.spiegel.de/unispiegel/0,1518,k-1864,00.html
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266920,00.html
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: nuri.k@gmx.net [mailto:nuri.k@gmx.net]
Gesendet: Dienstag, 30. September 2003 13:17
An: neues@ihv-bonn.de
Betreff: SPIEGEL ONLINE - Kopftuchverbot an türkischen Unis: "Verhüllung ist
Auflehnung"
Dieser Artikel wurde Ihnen geschickt von nuri.k@gmx.net mit der
persönlichen Mitteilung:
Ein Interview über das Kopftuch in der Türkei mit
anschließender Umfrage zum Unterrichten mit Kopftuch an
deutschen Schulen.
Bitte beachten Sie:
SPIEGEL ONLINE hat die Identität des Absenders nicht überprüft
SPIEGEL ONLINE
30.09.2003
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Kopftuchverbot an türkischen Unis: "Verhüllung ist Auflehnung"
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Wegen des Verhüllungsverbots brechen manche junge Türkinnen das
Studium ab, andere tricksen mit Perücken oder Hüten. Nazan Aksoy hat
nie ein Kopftuch getragen - und lehnt das strenge Verbot trotzdem ab.
Die Kopftuch-Studentinnen seien sogar Vorkämpferinnen der Demokratie,
sagt die Istanbuler Professorin im SPIEGEL-ONLINE-Interview.
Den vollständigen Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267737,00.html
Zum Thema
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- Türkische Studentinnen: Der Perücken-Trick
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267175,00.html
- Kopftuch international: Nicht überall Konfliktstoff
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266948,00.html
- Urteilsschelte: "Kopftuchstreit landet bald wieder in Karlsruhe"
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267123,00.html
- Nach Karlsruher Urteil: Länder planen Anti-Kopftuch-Gesetze
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267026,00.html
- SPD-Politikerin Akgün: "Ein 'Ja' wäre ein Dammbruch gewesen"
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,267013,00.html
- Kommentar: Urteil stiftet Krieg, nicht Frieden
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,267044,00.html
- Verfassungsgericht: Karlsruhe kippt Kopftuchverbot
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266920,00.html
- Kopftuch-Kontroverse: Kulturkampf in Karlsruhe
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266826,00.html
- SPIEGEL-Titel: Das Kreuz mit dem Koran
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,267479,00.html
- Special: Auslandsstudium
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,k-1163,00.html
*
5.c) Analoges? Das Pferdeschwanzurteil:
Das Koblenzer Oberverwaltungsgericht verbietet Polizisten das Tragen von Pferdeschwänzen:
http://217.27.2.150/3186437.html
*
5.d) Diskurs zu beiden Urteilen in der Männerrockbewegung:
Zum Kopftuchstreit:
http://www.f6.parsimony.net/forum6585/messages/30587.htm
Und zum Pferdeschwanzstreit:
http://www.f6.parsimony.net/forum6585/messages/30596.htm
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5.e) Ein paar Gedanken dazu von mir:
Als Religionswissenschaftler bin ich ja methodisch zur Neutralität verpflichtet, wenn ich eine Religion oder ein religiöses Phänomen erforsche und beschreibe. Als Mitglied unserer Gesellschaft aber bin ich berechtigt und teilweise auch verpflichtet, mir eine Meinung zu bilden. Falls Sie letztere interessiert, können Sie hier weiter lesen, ansonsten überspringen sie es einfach.
Das Kopftuch ist zunächst nur ein Kleidungsstück. Aber da fängt es schon an. Was heißt es überhaupt: nur ein Kleidungsstück?
Kleidung ist zunächst dazu da, uns vor den Einflüssen der Witterung zu schützen. Das tut ein Kopftuch zweifelsohne: es hält den Kopf warm, schützt das Haar vor Regen, Sonne, Staub und Sand.
Desweiteren bedeckt Kleidung unsere Scham, doch was zur Scham gehört, ist kulturabhängig. Es gibt Kulturen, da schämt sich niemand, seinen Mitmenschen in der Öffentlichkeit nackt vor die Augen zu treten, und es gibt Kulturen, da traut sich niemand, auch nur nackte Beine oder Arme zu zeigen, oder eben das Haar oder auch nur die Augen. In unserer Kultur gilt als Minimalkonsens, dass die Genitalien in der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden dürfen, alles andere ist in den letzten Jahrzehnten der privaten Beliebigkeit überantwortet worden, zumindest im Freizeitbereich.
Kleidung soll uns auch schmücken, und von unserer besten Seite zeigen. Kopftücher können dies sehr gut, wenn sie aus schönen Stoffen sind, oder Verzierungen tragen oder einfach nur schön angelegt sind. In Kairo sah ich sehr viele wunderschöne Kopftücher, die die Reize der Frauen eher betonten als verhüllten. Letztlich ist natürlich Geschmacksache, was man als schön, und was man als hässlich empfindet.
Kleidung symbolisiert bisweilen, zu welcher Gruppe wir gehören. So symbolisiert das Kopftuch einer Frau in vielen, wenn auch nicht allen Fällen ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime, und wenn man sich genauer auskennt, kann man auch erkennen, in welcher muslimischen Kultur die Frau stammt. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime erkennbar zu machen kann vieles bedeuten: es kann ein Bekenntnis zum eigenen individuellen Glauben, zu kollektiv muslimischen Wert- und Moralvorstellungen, zu heimatlichen Tradition, zu religiös-politischen Zielen. Letztere können demokratisch und können theokratisch sein. Theokratische Zielsetzungen wären jedenfalls nicht grundgesetzkonform, denn die Regime, die im allgemeinen als Theokratien bezeichnet werden, sind zumeist von Menschen regiert, die die absolute Wahrheit zu besitzen meinen, also wohl im Bewusstsein leben, Gott in der Tasche zu haben.
Nun ist es also so, dass es grundgesetzfeindliche Kopftuchträgerinnen gibt. Ganz klar! Und es gibt grundgesetzfeindliche Nichtkopftuchträgerinnen. Wer will das bestreiten. Nun sollte man mal eine soziologische Studie in Auftrag geben, die ermittelt, wie viele Kopftuchträgerinnen in unserer Republik grundgesetzfeindlich sind. Und wie viele davon es anstreben, in staatliche Dienste zu kommen. Ich mutmaße mal, das es nicht sehr viele sein werden.
Es gibt Kopftuchträgerinnen, die an ihren islamischen Wert- und Moralvorstellungen festhalten, zu denen es gehört, dass man das als sexuelle Reize auslösende Haar vor fremden Männern bedeckt, und so dem eigenen Mann Treue erweist. Sexuelle Zurückhaltung und Treue sind aber auch in unserer Kultur hohe Werte, wenn auch in der Praxis nicht von jedem hoch gehalten. Allerdings liegt die sexuelle Reizschwelle in den Ländern nördlich der Alpen höher als in den Ländern rund ums Mittelmeer. Ruft der Anblick eines Frau im Minirock hier gerade mal einen Hingucker aus, so flippen die Männer weiter südlich schon bei viel geringen Reizen gerne aus. Wie auch immer, so liegt es im Verantwortungsbereich von uns Männern, einer wie auch immer gekleideten Frau mit Anstand zu begegnen und uns die Mühe zu geben zu unterscheiden, ob eine Frau auf Männerfang ist oder sich einfach nur bequem und luftig kleiden will.
Es gibt Kopftuchträgerinnen die würden lieber keines tragen, werden aber von ihrer Familie dazu gezwungen oder sind so erzogen, dass sie es als Pflicht ansehen, und Gottes Strafe fürchten. Das sind traurige Fälle, und wenn man da helfen kann, soll man es tun. Sollte eine solche Frau Lehrerin werden bestünde die Gefahr, dass sie zumindest ihre muslimischen Schülerinnen davon zu überzeugen sucht, auch eines zu tragen. In solchen Einzelfällen wäre die Schulbehörde verpflichtet, dem Einhalt zu gebieten.
Der oft verwendete Vergleich zwischen Kopftuch und dem berühmten Kruzifix an der Wand hinkt ein wenig, da das Kopftuch ein persönliches Accessoire ist, das Kreuz an der Wand aber zum Inventar der Schule gehört. Wenn man schon vergleicht, dann ein Kopftuch mit einem Kreuz am Hals eines Menschen oder an seiner Kleidung oder dergleichen oder eben das Kreuz an der Wand mit einem Glaubensbekenntnis, wie es die saudi-arabische Flagge ziert, das an der Wand angebracht ist. Wenn ein Lehrer je nach seiner persönlichen Überzeugung den Wandschmuck des Raumes, in dem er unterrichtet, ändern würde, dann würde er auf jeden Fall zu weit gehen in der Beeinflussung der Schüler.
Miene Meinung ist ganz klar folgende: Jeder Mensch soll tragen was er will, wobei der oben erwähnte Minimalkonsens einzuhalten ist. Das bedeutet, dass auch jede Muslimin frei entscheiden dürfen soll, ob sie ein Kopftuch tragen möchte oder nicht, und das in jeder gesellschaftlichen Situation, sei es zu Hause oder im Amt.
Ich beobachte indes in unserer Gesellschaft eine Verengung der Gemüter in vielen Bereichen. Die Angst vor einer Bevormundung durch die fremde Religion des Islam ist nur eine Facette davon, eine Verschärfung von Verhaltenscodices zum Beispiel auch bei der Kleidung von Polizisten ist eine andere. Solche Engführungen gründen sich meines Erachtens in Angst. In Angst vor Konkurrenz im Wettbewerb der Wirtschaftsunternehmen, der Sinndeutungsanbieter, der Wertvermittler. Die schlechte wirtschaftliche Lage, die leeren öffentlichen Kassen, die Unsicherheiten der eigenen Wertefundamente in einer scheinbar chaotischen Wertebeliebigkeit, das alles lässt den Wunsch aufkommen, die Zügel straffer anzuziehen. So kommt es zu Fundamentalismen verschiedenster Art, vom islamistischen und evangelikalen Religions- bis zum neoliberalen Wirtschafts- und zum nationalistischen Ethnofundamentalismus. Der weise Mensch, der Homo sapiens, zieht sich zurück.
Nun möchte ich das Prinzip Hoffnung nicht vernachlässigen. Jeder von uns kann was dagegen tun, und jeder und jede ist auch gewissermaßen dazu verpflichtet, denn jeder dieser Fundamentalismen ist grundgesetzfeindlich, da die Würde des Menschen, der eventuell nicht ins Konzept passt, verachtend. Ich habe auch wirtschaftliche Angst vor der Zukunft. Ich betrachte Islamisten auch mit Argwohn. Aber soll ich deshalb meine Aggression auf Sündenböcke lenken, soll ich mich verbarrikadieren in meine Burg fester Wertvorstellungen, soll ich meine Ellbogen gegen Konkurrenten richten, soll ich zum Denunzianten werden? Oder soll ich den einzelnen Menschen betrachten und ihn ernst nehmen im seiner Würde, soll ich meine Eigenarten sozialverantwortlich zu meinem und dem Wohl der Gemeinschaft pflegen, soll ich das Leben genießen in der Vielfalt, die es zu bieten hat, und soll ich immer danach streben, dazu zu lernen? Ich denke, diese Fragen kann sich jeder von uns stellen und beantworten.
Ob ich einen Polizisten ernst nehme in der Würde seines Amtes hängt jedenfalls nicht von seiner Haartracht ab und die Würde einer Frau, welchen Glaubens auch immer, nicht von ihrer Kopfbedeckung!
Soweit mein Senf dazu.
MrG
Michael