Metrosexualität / Mode in Prais

?, Sunday, 25.01.2004, 21:26 (vor 7826 Tagen)

Ein bißchen Frau im ganzen Mann
David Beckham geistert als metrosexuelle Er-scheinung durch die Pariser Männermode / Von Anke Schipp
PARIS, 25. Januar. Ein Mann, der sich stets um sein Aussehen kümmert, einen extravaganten Geschmack hat und trotzdem nicht schwul ist, nennt man neuerdings nicht mehr "soft", son-dern "metrosexuell". Das klingt interessant und läßt sich wunderbar vermarkten. In Hochglanz-kampagnen wird dem Mann so hartnäckig weis-gemacht, er brauche Tageslotion, Nachtcreme und Make-up, daß man den Trend zum Metro-sexuellen für eine Erfindung der Kosmetikin-dustrie halten und schnell wieder vergessen könnte. Aber es gibt ihn wirklich. Zunächst war er nur eine Idee des englischen Journalisten Mark Simpson, der mit dieser ironisch gemein-ten Bezeichnung den idealen männlichen Kon-sumenten definieren wollte. Knapp zehn Jahre später ist Fleisch und Blut aus ihm geworden. Nun müssen wir damit leben, daß ein begabter, aber eigentlich nicht besonders interessanter Fußballspieler, der sich Zöpfchen dreht, angeb-lich gerne Damenunterwäsche trägt und an-sonsten vor allem clevere Imageberater hat, als die Stilikone unserer Zeit gilt.
Das hat auch Auswirkungen auf den Laufsteg, der bekannt dafür ist, Abbilder von Kultfiguren rauf-, runter- und noch mal raufzuschicken. Wo allerdings sonst Steve McQueen oder David Bowie ihrer Wege gehen, dribbelt bei den Pari-ser Männerschauen, die auch am Montag noch Kollektionen für den nächsten Herbst zeigen, David Beckham entlang. Vorder- und hinter-gründig schießt der englische Fußballstar in den meisten Kollektionen seine Pässe.
Der erste, der ihm freies Spiel läßt, ist John Galliano. Als Kreativdirektor des Modehauses Christian Dior sorgt der Brite seit sieben Jahren für fulminante und spektakuläre Defilees. Nun zeigte er seine erste Männerkollektion, Galliano Homme, und kündigte schon vorher im "Figaro" an, daß sich seine Mode an Männer wie Beck-ham richtet, die "äußerst männlich sind und auf ihren Look achten". Tatsächlich treibt er das Männliche zunächst bis zum Äußersten. Er schickt wilde Kerle durch das Zirkuszelt am Bois de Boulogne. Sie tragen riesige Pelzmützen mit Fuchsschwänzen bis zur Hüfte und knappe T-Shirts über sechsfach gewellten Waschbrettbäu-chen. Er betont den Mann durch festgezurrte Bänder an den männlichsten Stellen und trans-portiert den Lingerie-Stil aus der Damenmode auf den Herrn, indem er ihn Unterhosen tragen läßt, lang und kurz und superkurz. Gallianos Version vom Mann ist eine Mischung aus Boxer, Zuhälter und Cowboy, der allerdings seinen Daumen nicht machohaft in die Gürtelschlaufe, sondern in den Eingriff seiner Unterhose hängt. Den aggressiven Mann bricht Galliano - und an dieser Stelle wird's metrosexuell - mit femini-nen Elementen, die wenig subtil sind. Er hängt ihm Hüfthalter um den Bauch und schneidet die Jeans am Bein in zwei Teile, um sie dann mit Strapsen wieder zu verbinden. Auch Röcke trägt der Beckham/Galliano-Mann, reich mit Blüten und Volants verziert. Darüber übersieht man leicht Gallianos Stärke: die perfekte Schneider-kunst, die er sich an der Londoner Savile Row abgeschaut hat und die an den Hosentaschen und den Schnittführungen seiner Anzüge und weit fallenden Smokings abzulesen ist.
Ist das eine Schwäche der Pariser Schauen? Das Feuerwerk an Ideen, über die man das Tragbare vergißt? Der deutsche Designer Bern-hard Willhelm schickt eine ganze Footballmann-schaft mit Jogginganzügen aus Lambswool durch die Halle, aufwendig bedruckt mit lodern-den Flammen und Backsteinreihen. Er ironisiert mit großer Geste den Sportsman, aber will der Street- und Businessman das tragen? Will er die Jackets von Junya Watanabe tragen, der in seinen Stoffen englisches Interieur variiert: Mustertapeten, Samtbezüge und Gobelins. Will der Mann in Hemden mit Polka-Tupfen oder Blumen oder Satinhemdchen sein hartes Leben meistern? Wieviel Dekoration verträgt ein Mann? Keine vielleicht?
Die fast radikale Kollektion des Amerikaners Marc Jacobs für Louis Vuitton geht in diese Richtung. In den vergangenen Saisons experi-mentierte er durchaus mit Farben und Formen, diesmal aber zeigte er den Mann so formell, wie er beim Prêt-à-porter selten zu sehen ist. Der Louis-Vuitton-Mann ist ein ganzer Mann. Er trägt weite Wollmäntel, an der Taille zusam-mengebunden, wodurch ein breiter Oberkörper entsteht. Die Models haben die Haare zurück-gegelt und laufen in Schwarz und Grau und Dunkelblau so zackig über den Laufsteg, daß ihr Ziel eigentlich nur die nächste Investmentbank sein kann. Fast kommen sie einem wie die Zeit-diebe in Michael Endes Roman "Momo" vor, nicht von dieser Welt und kalt wie Stahl. Doch von der überzeichneten Inszenierung sollte man sich nicht täuschen lassen. Denn die Zutaten, die aus der Business-Kollektion eine Mode-Kollektion machen, sind so edel, exklusiv und elegant, daß der Mann, der sie später tragen wird, garantiert Anerkennung findet. Für Aufse-hen sorgt Marc Jacobs durch die knappen, über dem Jackett getragenen Blousons und geschickt plazierte Lederstücke, die sich in wattierter Form an den Ellenbogen wiederfinden oder als Kummerbund beim Smoking. Eine Hose ist vor-ne aus körnig strukturierter Wolle und hinten aus ebenjenem wattierten Leder. Dazu hat Louis Vuitton, seiner Tradition folgend, die pas-senden Taschen geliefert, Aktentaschen aus hochwertigem Leder und an den Seiten mit Metall verstärkt.
Jacobs verzichtet so konsequent auf jegliche feminine Andeutung, daß dies auch als State-ment, ja Protest gegen den Zeitgeist verstan-den werden muß. "Ich bin überhaupt nicht an dem metrosexuellen Mann interessiert", sagt der Designer nach seiner Schau fast trotzig. "Ich bin überhaupt nicht an solchen Schlagwor-ten interessiert. Ich mag den eleganten und kultivierten Mann. Das ist der Mann für Louis Vuitton, an dem wir seit einigen Saisons arbei-ten." Es sind glamouröse und gefährdete Per-sönlichkeiten wie der Sänger Chat Baker und der Milliardär Howard Hughes, den Leonardo di Caprio demnächst im Film spielen wird, die Marc Jacobs im Blick hat. Und er fügt hinzu: "Ich habe immer meine Zweifel bei Männern, die zu modisch aussehen." Und was trägt De-signer Helmut Lang, dem Verspieltes fremd, aber Experimentelles um so lieber ist, zum Thema bei? Englische Klassik! Schwarze Anzüge mit Satinkragen und darunter dunkelblaue Hemden mit schmaler Krawatte und silberner Nadel, sanft taillierte Kurzmäntel, Smokings mit Hosen, in die ein Satinschritt eingearbeitet ist. Aus der Reihe tanzt der Dandy nur vereinzelt, mit einem bronzefarbenen Ledermantel zum Beispiel und Schuhen, die ebenfalls in Bronze, Metallicblau und Gold glänzen.
Zwei Designer, eine Aussage. Daß sie in Paris zu der Gruppe gehören, die den Weg weist, dürfte empfindlich an dem so schön zurechtge-schminkten Mythos vom metrosexuellen Mann kratzen. Vielleicht wird er ja schneller vom Platz verwiesen, als es ihm lieb ist.
FAZ.NET Weitere Berichte im Internet auf unse-ren Seiten www.faz.net/mode
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.01.2004, Nr. 21 / Seite 9


gesamter Thread: