Kopftuchverbot - Rockverbot??

StefanW, Wednesday, 01.10.2003, 10:23 (vor 7948 Tagen)

Hallo zusammen,

ich wundere mich in letzter Zeit immer wieder wie viel Rummel um ein kleines Koptuch gemacht wird, welches eine tuerkische Lehrerin tragen moechte. Was soll das? Jeder hat das Recht das zu tragen was er will ... so die Theorie.

Scheinbar werden hier aber die Grundfesten deutscher Erziehung erschuettert. Zwar hat die Lehrerin ja nun erst mal die Erlaubnis ihr Kopftuch zu tragen, allerdings ist Bayern schon drauf und dran bald ein Koptuchverbot verhaengen.

Und damit nicht genug: alles soll aus der Schule verbannt werden was der 'deutschen Tradition' entgegen laeuft. Da bin ich ja mal gespannt was da alles drunter faellt. Wo faengt man an auszugrenzen und wo hoert man auf? Ist ein faschistischer 'traditionsbewuster' Lehrer erlaubt, aber ein weltoffener verboten?

Na ja, das sind Fragen die ihr natuerlich auch nicht beantworten koennt. Ihr merkt aber schon wohin mich meine Gedanken fuehren: Wie sieht es dann mit Maennern im Rock aus? Ich denke insbesondere Heinz und Collantix werden sich zu diesem Thema auch schon mal ihre Gedanken gemacht haben, oder?
Was denkt ihr alle denn darueber?

Fuer mich ist dies ein Rueckschrit in Sachen Toleranz. Ich halte (die meisten) unserer Kinder fuer reif genug sich ihre eigene Meinug zu bilden. Eine Person in ihrem Umfeld, die sich anders kleidet wird auf keinen Fall ein praegender Faktor fuer ihr ganzes Leben sein.

Gruss
Hagen

Re: Kopftuchverbot - Rockverbot??

Dieter, Wednesday, 01.10.2003, 11:05 (vor 7948 Tagen) @ StefanW

Die Sache hat nur einen Haken: Das Kopftuch ist hier nicht ein Kleidungsstück sondern eine politisch-religiöse Stellungnahme! Also Kleidung: vollkommen OK, als Manifestation einer bestimmten Weltanschauung in der Schule: falsch!

Gruß

Dieter

Re: Kopftuchverbot - Rockverbot??

TomC, Wednesday, 01.10.2003, 11:28 (vor 7948 Tagen) @ StefanW

Moin, Moin !

Nee, nee, Stafan ! Gleiches Recht für alle ! Und da Kruzifixe in deutschen Schulen verboten sind (SPIEGEL v. 3.1.02: Ein Lehrer hatte durchgesetzt, dass aus Gewissengründen das obligatorische Kruzifix aus seinen Klassenräumen entfernt werden muss.), dürfen auch andere Symbole anderer Religionen nicht zur Schau gestellt werden. Die Frage ist: ist ein solches Kopftuch ein solches Symbol ? Zugegeben Weltanschauungsfragen sind schwierig. Die Angst vor Beeinfußung der Kinder ist nicht neu. Einer meiner besten Lehrer war Mitglied der SEW ( einem West-Berliner Ableger der SED). Er gab aber durch sein Verhalten keinen Grund zur Beanstandung. Ganz im Gegenteil, wenn der Senat mal wieder prüfte, waren es Schüler und Eltern die sich für ihn einsetzten. Das schaffte er aber nur, weil er seine politiche Anschauung aus der Schule fern hielt und nicht etwa mit SEW-Plaketten rumlief. Die Frage ist: ist ein solches Kopftuch ein solches Symbol ? Das Kopftuch steht für einen extrem konservatives Koran-Verständnis. Und im Koran steht alles andere als Multi-Kulti-Alle-Religionen-sind-eins. Das ist - wie auch mit der Bibel - eine Frage der Auslegung.

Also ganz so einfach ist die Sache nicht. Das Kopftuch bei moslemischen Frauen ist kein Schmuck, sondern Ausdruck einer - wie ich finde - ziemlich konservativen Weltanschauung. Und Lehrer sind Vorbilder.

Gruß Tom C.

Re: Kopftuchverbot - Rockverbot??

Ferdi, Wednesday, 01.10.2003, 11:44 (vor 7948 Tagen) @ StefanW

Hallo Stefan, ich würde auch sagen, dass das Kopftuch ein religiöses Symbol darstellt. Ein Rock ist kein Symbol für irgendwas, sondern nur ein simples Kleidungsstück. Daher kann man die Diskussion um das Kopftuch nicht auf Röcke und andere Kleidungsstücke übertragen. Ich sehe keine Gefahr, dass irgendjemand mal ein Rock-Verbot ausspricht. Wäre auch ein Verstoss gegen mehrere Grundgesetz- und Verfassungsartikel.

Gruss,
Ferdi

Re: Kopftuchverbot - Rockverbot??

heinz, Wednesday, 01.10.2003, 13:57 (vor 7948 Tagen) @ StefanW

Hallo Stefan.W
Die Sendung mit dem Kopftuchproblem habe ich auch gesehen. Ich persönlich habe diese radikalen und konservativen Gruppen auch nicht gerade gern, mir wäre es aber egal, wenn eine Lehrerin im Kopftuch im Klassenzimmer steht, Hauptsache die "Materie" oder das, was sie bringt ist o.k.!

Nun habe ich aber mal ne Frage:

Schon oft wurde gesagt, dass Lehrer ein Vorbild sein müssen! Von wessen Vorbild müssen wir denn Vorbild sein?

Ich gehe zum Beispiel regelmässig in grossen Pausen auf den Parkplatz, um meine zwei Zigarretten zu rauchen. Die Schüler wissen das und dürfen auf dem Pausenplatz nicht rauchen, dafür schloten sie nachher das Doppelte!

Viele Lehrer trinken Alkohol, zwar in der Freizeit, aber die Schüler wissen das auch. Ich trinke keinen Alkohol. Bin ich nun deswegen ein Vorbild?

Ich komme je nach Lust und Laune im Rock zur Schule. Ich habe sonst noch KEINEN EINZIGEN MANN (LEHRER) IM ROCK GESEHEN! Was bin ich nun?

Also inwiefern "müssen" wir Vorbild sein? Ich benehme mich in der Schule kaum anders als im Privatleben. Ich fahre gut so und habe überhaupt keine Probleme (hat sich im letzten Schulleiter-Lehrer-Gespräch gezeigt! Zeigt sich auch in Gesprächen mit Eltern!)
Eine Mutter hat mir gesagt, als ich zu Beginn der letzten Schulreise in den Bus steigen wollte:" Sie sind immer so schön und sportlich angezogen!". Ich trug damals einen Jeansrock knapp über die Knie, rote Boxerstiefel und ein rotweissgesprenkeltes Kurzarmhemd!

Ich weiss es nicht, aber vielleicht sind die Ansichten über einen Lehrer bei uns anders als bei euch. Jedenfalls die "Gotthelfzeiten" sind vorbei, als der Lehrer mit dem Stock als Autoritätsperson vorne im Klassenzimmer stand und die Schüler "zusammenschiss"! Oder sind wir gegenüber Lehrpersonen toleranter? ;-)


Auf jeden Fall gäbe es von mir bei einem Rockverbot den grössten Aufstand, den die CH seit dem Bauernkrieg erlebt hat! ;-)

Viele Grüsse
heinz

Re: Kopftuchverbot - Rockverbot??

Collantix, Wednesday, 01.10.2003, 16:58 (vor 7948 Tagen) @ StefanW

Hallo,

ich habe mir über das Kopftuch-Urteil zwar Gedanken gemacht, im Zusammenhang mit meinen Bekleidungsvorlieben allerdings nicht. Dazu gibt es wohl keinen Anlaß.
Ich bin im übrigen auch nicht im Staatsdienst, sondern arbeite in einer privaten, überkonfessionellen Einrichtung. In unserer Einrichtung hängen - im Gegensatz zu den staatlichen Schulen - auch keine Kruzifixe.

Bayern in Person unserer Schulministerin Hohlmeier (die ihre Kinder im übrigen auf eine Waldorf- Schule schickt...) will ja so ein Kopftuch-Gesetz erstellen. Ich bin gespannt, wie das aussehen soll, wenn das Kruzifix weiter am Hals baumeln darf... Laut Bayerischer Verfassung sind Kirche und Staat getrennt.
Berlin will noch einen Schritt weiter gehen und es auf den gesamten Öffentlichen Dienst ausdehen.

Baden-Württemberg nimmt von einem solchen Gesetz Abstand.

Selbst wenn so ein Gesetz kommen sollte, sehe ich den Rock am Arbeitsplatz im Staatsdienst davon unberührt, weil er keine religiöse Aussage trifft.

Gruß

Collantix

Re: Kopftuchverbot - Rockverbot??

MAS, Tuesday, 07.10.2003, 18:10 (vor 7942 Tagen) @ StefanW

Hi Folks,

ich habe mich des Themas in meinem interreligiösen Rundbrief (den ich nachher raus schicken werde, so dass Ihr hier exklusiv einen Teil davon vorweg bekommt) angenommen und gebe Euch hier das Inhaltsverzeichnis und dann das Kpoftuchkapitel wieder:

Inhaltsverzeichnis:
1.) WCRP-Veranstaltungen in Köln und Bonn
2.) Kathina-Fest im Bonn Buddhist Temple
3.) Buddhistisch Orientierte Gemeinschaften in Bonn
4.) Literaturtipps
4.a) Sufismus in Deutschland (von Udo Tworuschka aus der Yggdrasill-Liste)
4.b) Homosexualität und Islam (von Ismail Mohr)
4.c) Die Europäische Ökumenische Kommission für Kirche und
Gesellschaft (EECCS) als Beispiel für das Engagement des Protestantismus auf europäischer Ebene (von Hans-Ulrich Reuter aus der Yggdrasill-Liste)
4.d) Übersetzung der geistlichen „Anleitung“ der Attentäter des 11. September 2001
5.) Kopftuchstreit
5.a) REMID-Infos
5.b) Aus dem IHV-Verteiler
5.c) Analoges? Das Pferdeschwanzurteil
5.d) Diskurs zu beiden Urteilen in der Männerrockbewegung
5.e) Ein paar Gedanken dazu von mir
6.) Artikel zum aufgehobenen Steinigungsurteil in Nigeria (von Dominik Schmidt aus dem IHV-Verteiler)
7.) Edward Said ist tot. (Von Meryem aus dem IHV-Verteiler)
8.) Museumstipp: Kunstprojekt „WildCards“
9.) Fernsehtipp: 100 Jahre Buddhismus in Deutschland (von Barbara Stupp vom WDR)
10.) Aufruf vom Interkulturellen Rat Für eine Kultur der sozialen Solidarität (von Alfred Weil vom Interkulturellen Rat)
11.) Ansprache zum Gebet der Religionen am 3. Oktober 2003 in Köln von Annette Esser, WCRP Köln/Bonn
12.) Nachgedanke von Yesche Udo Regel (http://www.yesche.de/)

**

5.) Kopftuchstreit:

5.a) REMID-Infos:


Der „Streit um ein Stück Stoff“ erhitzt die Gemüter in unserer Republik.
Sachliche Informationen dazu finden Sie (wo sonst?) bei REMID auf der Informationsplattform Religion:
http://www.religion-online.info/home.html

*

5.b) Aus dem IHV-Verteiler:


Auch im Verteiler der Islamischen Hochschulvereinigung Bonn wurden mehrere Links zusammengetragen von Dominik Schura und Nuri K.:

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Dominik-Schura@ihv-bonn.de [mailto:Dominik-Schura@ihv-bonn.de]
Gesendet: Mittwoch, 24. September 2003 10:27
An: neues@ihv-bonn.de
Betreff: SPIEGEL ONLINE - Verfassungsgericht: Lehrerin darf mit Kopftuch
unterrichten

Dieser Artikel wurde Ihnen geschickt von Dominik-Schura@ihv-bonn.de

Bitte beachten Sie:
SPIEGEL ONLINE hat die Identität des Absenders nicht überprüft

SPIEGEL ONLINE
24.09.2003
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Verfassungsgericht: Lehrerin darf mit Kopftuch unterrichten
---------------------------------------------------------------------

Der Kopftuchstreit ist beendet, zumindest juristisch. Am
Mittwochmorgen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die
muslimische Grundschullehrererin Fereshta Ludin ihr Kopftuch im
Klassenzimmer einer staatlichen Schule nicht abnehmen muss - ein
brisantes Urteil mit weitreichenden Folgen.

Den vollständigen Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266920,00.html


Zum Thema
---------

- Kopftuch-Kontroverse: Kulturkampf in Karlsruhe
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266826,00.html

- Kopftuchstreit: Kleidungsstück oder politisches Symbol?
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266726,00.html

- Alice Schwarzer zum Kopftuchstreit: Die Machtprobe
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,254053,00.html

- Kopftuchstreit: Symbolischer Stoff vor Gericht
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,251300,00.html

- Buddhismus als Schulfach: Einmaleins in Erleuchtung
http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,264075,00.html

- Kopftuchstreit: Barrikaden für die Barhäuptigkeit
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,189114,00.html

- Zitiert: Mit der Schultüte gen Mekka
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,259965,00.html

- Katholiken-Moral: Kann denn Liebe Sünde sein?
http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,250135,00.html

- Special: Schule
http://www.spiegel.de/unispiegel/0,1518,k-1864,00.html

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266920,00.html

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: nuri.k@gmx.net [mailto:nuri.k@gmx.net]
Gesendet: Dienstag, 30. September 2003 13:17
An: neues@ihv-bonn.de
Betreff: SPIEGEL ONLINE - Kopftuchverbot an türkischen Unis: "Verhüllung ist
Auflehnung"

Dieser Artikel wurde Ihnen geschickt von nuri.k@gmx.net mit der
persönlichen Mitteilung:

Ein Interview über das Kopftuch in der Türkei mit
anschließender Umfrage zum Unterrichten mit Kopftuch an
deutschen Schulen.

Bitte beachten Sie:
SPIEGEL ONLINE hat die Identität des Absenders nicht überprüft

SPIEGEL ONLINE
30.09.2003
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Kopftuchverbot an türkischen Unis: "Verhüllung ist Auflehnung"
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Wegen des Verhüllungsverbots brechen manche junge Türkinnen das
Studium ab, andere tricksen mit Perücken oder Hüten. Nazan Aksoy hat
nie ein Kopftuch getragen - und lehnt das strenge Verbot trotzdem ab.
Die Kopftuch-Studentinnen seien sogar Vorkämpferinnen der Demokratie,
sagt die Istanbuler Professorin im SPIEGEL-ONLINE-Interview.

Den vollständigen Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267737,00.html


Zum Thema
---------

- Türkische Studentinnen: Der Perücken-Trick
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267175,00.html

- Kopftuch international: Nicht überall Konfliktstoff
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266948,00.html

- Urteilsschelte: "Kopftuchstreit landet bald wieder in Karlsruhe"
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267123,00.html

- Nach Karlsruher Urteil: Länder planen Anti-Kopftuch-Gesetze
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,267026,00.html

- SPD-Politikerin Akgün: "Ein 'Ja' wäre ein Dammbruch gewesen"
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,267013,00.html

- Kommentar: Urteil stiftet Krieg, nicht Frieden
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,267044,00.html

- Verfassungsgericht: Karlsruhe kippt Kopftuchverbot
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266920,00.html

- Kopftuch-Kontroverse: Kulturkampf in Karlsruhe
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,266826,00.html

- SPIEGEL-Titel: Das Kreuz mit dem Koran
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,267479,00.html

- Special: Auslandsstudium
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,k-1163,00.html

*

5.c) Analoges? Das Pferdeschwanzurteil:

Das Koblenzer Oberverwaltungsgericht verbietet Polizisten das Tragen von Pferdeschwänzen:
http://217.27.2.150/3186437.html

*

5.d) Diskurs zu beiden Urteilen in der Männerrockbewegung:


Zum Kopftuchstreit:
http://www.f6.parsimony.net/forum6585/messages/30587.htm

Und zum Pferdeschwanzstreit:
http://www.f6.parsimony.net/forum6585/messages/30596.htm

*

5.e) Ein paar Gedanken dazu von mir:


Als Religionswissenschaftler bin ich ja methodisch zur Neutralität verpflichtet, wenn ich eine Religion oder ein religiöses Phänomen erforsche und beschreibe. Als Mitglied unserer Gesellschaft aber bin ich berechtigt und teilweise auch verpflichtet, mir eine Meinung zu bilden. Falls Sie letztere interessiert, können Sie hier weiter lesen, ansonsten überspringen sie es einfach.

Das Kopftuch ist zunächst nur ein Kleidungsstück. Aber da fängt es schon an. Was heißt es überhaupt: „nur ein Kleidungsstück“?
Kleidung ist zunächst dazu da, uns vor den Einflüssen der Witterung zu schützen. Das tut ein Kopftuch zweifelsohne: es hält den Kopf warm, schützt das Haar vor Regen, Sonne, Staub und Sand.
Desweiteren bedeckt Kleidung unsere Scham, doch was zur Scham gehört, ist kulturabhängig. Es gibt Kulturen, da schämt sich niemand, seinen Mitmenschen in der Öffentlichkeit nackt vor die Augen zu treten, und es gibt Kulturen, da traut sich niemand, auch nur nackte Beine oder Arme zu zeigen, oder eben das Haar oder auch nur die Augen. In unserer Kultur gilt als Minimalkonsens, dass die Genitalien in der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden dürfen, alles andere ist in den letzten Jahrzehnten der privaten Beliebigkeit überantwortet worden, zumindest im Freizeitbereich.
Kleidung soll uns auch schmücken, und „von unserer besten Seite“ zeigen. Kopftücher können dies sehr gut, wenn sie aus schönen Stoffen sind, oder Verzierungen tragen oder einfach nur schön angelegt sind. In Kairo sah ich sehr viele wunderschöne Kopftücher, die die Reize der Frauen eher betonten als verhüllten. Letztlich ist natürlich Geschmacksache, was man als schön, und was man als hässlich empfindet.
Kleidung symbolisiert bisweilen, zu welcher Gruppe wir gehören. So symbolisiert das Kopftuch einer Frau in vielen, wenn auch nicht allen Fällen ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime, und wenn man sich genauer auskennt, kann man auch erkennen, in welcher muslimischen Kultur die Frau stammt. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime erkennbar zu machen kann vieles bedeuten: es kann ein Bekenntnis zum eigenen individuellen Glauben, zu kollektiv muslimischen Wert- und Moralvorstellungen, zu heimatlichen Tradition, zu religiös-politischen Zielen. Letztere können demokratisch und können theokratisch sein. Theokratische Zielsetzungen wären jedenfalls nicht grundgesetzkonform, denn die Regime, die im allgemeinen als Theokratien bezeichnet werden, sind zumeist von Menschen regiert, die die absolute Wahrheit zu besitzen meinen, also wohl im Bewusstsein leben, Gott in der Tasche zu haben.
Nun ist es also so, dass es grundgesetzfeindliche Kopftuchträgerinnen gibt. Ganz klar! Und es gibt grundgesetzfeindliche Nichtkopftuchträgerinnen. Wer will das bestreiten. Nun sollte man mal eine soziologische Studie in Auftrag geben, die ermittelt, wie viele Kopftuchträgerinnen in unserer Republik grundgesetzfeindlich sind. Und wie viele davon es anstreben, in staatliche Dienste zu kommen. Ich mutmaße mal, das es nicht sehr viele sein werden.
Es gibt Kopftuchträgerinnen, die an ihren islamischen Wert- und Moralvorstellungen festhalten, zu denen es gehört, dass man das als sexuelle Reize auslösende Haar vor fremden Männern bedeckt, und so dem eigenen Mann Treue erweist. Sexuelle Zurückhaltung und Treue sind aber auch in unserer Kultur hohe Werte, wenn auch in der Praxis nicht von jedem hoch gehalten. Allerdings liegt die sexuelle Reizschwelle in den Ländern nördlich der Alpen höher als in den Ländern rund ums Mittelmeer. Ruft der Anblick eines Frau im Minirock hier gerade mal einen Hingucker aus, so flippen die Männer weiter südlich schon bei viel geringen Reizen gerne aus. Wie auch immer, so liegt es im Verantwortungsbereich von uns Männern, einer wie auch immer gekleideten Frau mit Anstand zu begegnen und uns die Mühe zu geben zu unterscheiden, ob eine Frau „auf Männerfang“ ist oder sich einfach nur bequem und luftig kleiden will.
Es gibt Kopftuchträgerinnen die würden lieber keines tragen, werden aber von ihrer Familie dazu gezwungen oder sind so erzogen, dass sie es als Pflicht ansehen, und Gottes Strafe fürchten. Das sind traurige Fälle, und wenn man da helfen kann, soll man es tun. Sollte eine solche Frau Lehrerin werden bestünde die Gefahr, dass sie zumindest ihre muslimischen Schülerinnen davon zu überzeugen sucht, auch eines zu tragen. In solchen Einzelfällen wäre die Schulbehörde verpflichtet, dem Einhalt zu gebieten.
Der oft verwendete Vergleich zwischen Kopftuch und dem berühmten Kruzifix an der Wand hinkt ein wenig, da das Kopftuch ein persönliches Accessoire ist, das Kreuz an der Wand aber zum Inventar der Schule gehört. Wenn man schon vergleicht, dann ein Kopftuch mit einem Kreuz am Hals eines Menschen oder an seiner Kleidung oder dergleichen oder eben das Kreuz an der Wand mit einem Glaubensbekenntnis, wie es die saudi-arabische Flagge ziert, das an der Wand angebracht ist. Wenn ein Lehrer je nach seiner persönlichen Überzeugung den Wandschmuck des Raumes, in dem er unterrichtet, ändern würde, dann würde er auf jeden Fall zu weit gehen in der Beeinflussung der Schüler.
Miene Meinung ist ganz klar folgende: Jeder Mensch soll tragen was er will, wobei der oben erwähnte Minimalkonsens einzuhalten ist. Das bedeutet, dass auch jede Muslimin frei entscheiden dürfen soll, ob sie ein Kopftuch tragen möchte oder nicht, und das in jeder gesellschaftlichen Situation, sei es zu Hause oder im Amt.
Ich beobachte indes in unserer Gesellschaft eine Verengung der Gemüter in vielen Bereichen. Die Angst vor einer Bevormundung durch die fremde Religion des Islam ist nur eine Facette davon, eine Verschärfung von Verhaltenscodices zum Beispiel auch bei der Kleidung von Polizisten ist eine andere. Solche Engführungen gründen sich meines Erachtens in Angst. In Angst vor Konkurrenz im Wettbewerb der Wirtschaftsunternehmen, der Sinndeutungsanbieter, der Wertvermittler. Die schlechte wirtschaftliche Lage, die leeren öffentlichen Kassen, die Unsicherheiten der eigenen Wertefundamente in einer scheinbar chaotischen Wertebeliebigkeit, das alles lässt den Wunsch aufkommen, die Zügel straffer anzuziehen. So kommt es zu Fundamentalismen verschiedenster Art, vom islamistischen und evangelikalen Religions- bis zum neoliberalen Wirtschafts- und zum nationalistischen Ethnofundamentalismus. Der weise Mensch, der Homo sapiens, zieht sich zurück.
Nun möchte ich das Prinzip Hoffnung nicht vernachlässigen. Jeder von uns kann was dagegen tun, und jeder und jede ist auch gewissermaßen dazu verpflichtet, denn jeder dieser Fundamentalismen ist grundgesetzfeindlich, da die Würde des Menschen, der eventuell nicht ins Konzept passt, verachtend. Ich habe auch wirtschaftliche Angst vor der Zukunft. Ich betrachte Islamisten auch mit Argwohn. Aber soll ich deshalb meine Aggression auf Sündenböcke lenken, soll ich mich verbarrikadieren in meine Burg fester Wertvorstellungen, soll ich meine Ellbogen gegen Konkurrenten richten, soll ich zum Denunzianten werden? Oder soll ich den einzelnen Menschen betrachten und ihn ernst nehmen im seiner Würde, soll ich meine Eigenarten sozialverantwortlich zu meinem und dem Wohl der Gemeinschaft pflegen, soll ich das Leben genießen in der Vielfalt, die es zu bieten hat, und soll ich immer danach streben, dazu zu lernen? Ich denke, diese Fragen kann sich jeder von uns stellen – und beantworten.
Ob ich einen Polizisten ernst nehme in der Würde seines Amtes hängt jedenfalls nicht von seiner Haartracht ab und die Würde einer Frau, welchen Glaubens auch immer, nicht von ihrer Kopfbedeckung!


Soweit mein Senf dazu.

MrG

Michael