Öffentlichkeitsarbeit

Michael A. Schmiedel, Tuesday, 25.05.1999, 16:31 (vor 9532 Tagen)

Hallo Leute,

zwar habe ich den Text zum Teil schon an anderer Stelle ins Netz gesetzt, aber Wolfgang Speckert meinte, ich sollte ihn hier nochmal ablegen. Es besteht die Möglichkeit, den Text den Nachbarn in den Breifkasten zu legen, ihn interessiert guckenden Passanten auszuhändigen oder ähnliches. Man kann ihn ja nach Bedarf abändern:


Liebe Nachbarn,

es könnte sein, daß Sie mich hin und wieder mit einem Rock begleitet antreffen, und damit es für Sie kein merkwürdiges Rätsel bleibt, warum der Herr (Name)denn da im Rock rum läuft, möchte ich es Ihnen erklären:
Zunächst, keine Angst, ich bin nicht irgendwie "anders herum"! Nein, es ist nur einfach so, daß ich herausgefunden habe, daß Röcke, gerade bei warmen Temperaturen, sehr viel angenehmer und luftiger zu tragen sind als Hosen. Außerdem habe ich herausgefunden, daß der Rock auch hier in Deutschland in früheren Jahrhunderten und heute noch in vielen anderen Ländern der Erde durchaus ein Kleidungsstück für Männer war bzw. ist. Drittens habe ich herausgefunden, daß ich mit dieser Idee nicht alleine bin, sondern in mehreren Ländern auch andere Männer den Hosenzwang satt haben (auch sie sind nicht "anders herum"), daß sich einzelne Schneider schon darauf eingestellt haben (leider sehr teuer) und daß H&M; kürzlich einen Männerrock im Angebot hatte (habe ich leider erst erfahren, als er schon ausverkauft war). Aber es gibt auch Frauenröcke, die Männer zumindest so gut tragen können, wie Frauen Männerhosen, was ja auch vorkommt und allgemein akzeptiert ist. Röcke und Hosen sind ansich gleichermaßen geschlechtsneutral, und gewinnen ihre Bedeutungen erst durch unser Denken, und denken kann man bekanntlich so oder so.
So wage ich mich denn ab und zu im Rock an die Öffentlichkeit, nachdem ich zu Hause schon lange gerne Röcke trage, hoffe auf möglichst wenig Mißverständnisse und auf möglichst viel Toleranz oder gar Solidarität und hoffe, anderen Männern als gutes Beispiel voranzugehen und sie zur Mithilfe bei der Wiedereinführung der Sitte, daß Männer auch Röcke tragen, zu ermutigen. Es ist übrigens nicht nur ein Beitrag für die Gleichberechtigung des Mannes, sondern auch der Frau. Der Zusammenhang ist etwas kompliziert, stimmt aber.
Wenn Sie mich nun für einen komischen Kauz halten, bitte sehr!
Für Fragen und Kritik (am liebsten positive, aber auch für konstruktive Einwände) habe ich jederzeit zwei offene Ohren.

Auf weiterhin gute Nachbarschaft!

Ihr (Name)


Beiliegend: Das Ganze noch ein wenig detaillierter.

Was werden wohl die Leute denken?

Liebe Zeitgenossinnen und Zeitgenossen,

diese Frage stellt sich ein Mann, der in der Öffentlichkeit einen Rock statt einer Hose trägt, ganz sicher. Und da ich ein solcher Mann bin und es mir nicht ganz egal ist, was denn die Leute denken, möchte ich die Initiative ergreifen und besagtes Denken durch Informationen ein wenig in die richtige Richtung lenken.

Beantwortung der Frage: Warum trägt dieser Mann einen Rock?

1.) Röcke sind oft bequemer und luftiger als Hosen.

2.) In der Antike und im Mittelalter waren Röcke oder ähnliche Kleidungsstücke in Europa allgemein gebräuchliches männliches Kleidungsstück. Hosen gab es zwar auch schon seit keltischer Frühzeit, doch wurden sie hauptsächlich zum Reiten und für Arbeiten, bei denen man viel Bewegungsfreiheit brauchte, benutzt. Als die Hose ab dem 15. Jahrhundert verstärkt eingeführt wurde, wurde das von Konservativen vielfach als Skandal empfunden und geschmäht.

3.) Als im 19. und 20. Jahrhundert auch noch Frauen anfingen, Hosen zu tragen, waren sie vielfachen Anfeindungen ausgesetzt. Eine Frau, die 1911 in Wien in einem Hosenrock statt einem Kleid auf die Straße ging, wurde von einer wütenden Menschenmenge verfolgt, die ihr besagten Hosenrock vom Leibe riß. Ein Offizier rettete ihr das Leben, und sie flüchteten in einen Hauseingang. Wenn Frauen heute selbstverständlich Hosen tragen, sollten sie dieser tapferen Frauen gedenken, die sich und ihren Nachfahrinnen dieses Recht und die Akzeptanz der Öffentlichkeit tapfer erkämpft haben.

4.) Heute tragen Frauen Röcke und Hosen, Männer hingegen sind (Von wem eigentlich?) dazu gezwungen, immer Hosen zu tragen. Das empfinde ich als eine ungerechte und unsinnige Konvention! Manche Männer sehen in der Hose wohl auch ein Statussymbol, denn trotz offizieller Gleichberechtigung sind Männer immer noch vielfach das dominierende Geschlecht, und der Gedanke, einen Rock zu tragen, läßt gewissermaßen Kastrationsängste aufkommen. Und doch gibt es in manchen Gegenden Europas und vielen Völkern Asiens und Afrikas durchaus gestandene Männer ohne Hosen, dafür in Kilts, Kaftans, Galabeas, Sarongs, Lunghis, Lavalavas und anderen Röcken und Kleidern. Hosen haben in diesen Kulturen wegen der Vormachtstellung westlicher Zivilisation allerdings oft einen höheren gesellschaftlichen Status.

5.) Eigentlich ist es nervend, immer wieder diesen Punkt zu erwähnen und gar zu betonen, aber da vielen Mitmenschen diese Assoziationen kommen und so sehr schnell Vorurteile und Mißverständnisse aufkommen, möchte ist doch nachdrücklich betonen: Ich bin weder ein Transvestit noch homosexuell! Sicher tragen Transvestiten und einige Homosexuelle auch Röcke, und sie sollen es auch ruhig tun, aber das ist nicht untrennbar miteinander verbunden! Hosentragende Frauen sind schließlich auch nicht unbedingt Transvestitinnen oder Lesbierinnen. Wenn ich nun Röcke trage, die als Frauenröcke hergestellt und verkauft wurden, liegt das nur daran, daß explizite Männerröcke in unseren Geschäften (fast) nirgends zu kaufen sind und wenn doch, dann sind sie ca. dreimal so teuer. Ich suche mir jedoch solche aus, die nach meinem Dafürhalten und dem meiner Frau nicht zu feminin aussehen, sondern eher unter die Rubrik "Unisex" eingereiht werden könnten.

6.) Aus diesen Gründen nehme ich mir das Recht heraus, bei geeignetem Wetter im Rock auszugehen und das angenehme Empfinden um die Beine herum zu genießen. Mein Wunsch ist es, daß Röcke für Jungen und Männer eines Tages genau so selbstverständlich sind, wie Hosen es für Mädchen und Frauen heute schon sind. Jeder und jeder soll tragen, was ihr oder ihm gefällt. Ich weiß, daß viele Männer ähnlich denken, sich aber nicht trauen, die Hose mal gegen angenehmeres einzutauschen, denn
...was werden wohl die Leute denken?

Ich wünsche Ihnen ein friedliches Leben!

ein paar Internet-Adressen zum Thema:
http://www.packet.ch/mir/default.htm http://f6.parsimony.net/forum6585/
http://www.datacomm.ch/nothafe/
http://www.geocities.com/SouthBeach/Marina/8281/
http://www.fashionnet.ch/designer/amok/cont1.html
http://www.mc.rwth-aachen.de/~vmg/fashion/rock.html
http://www.spub.ksu.edu/ISSUES/v100/SP/n097/opn-its.a.drag-kdj.html

Rocksolidarische Grüße!

Michael.

PS: Eine eigene Homepage habe ich nicht, aber die von unserm Seminar ist auch interessant.

<ul><li>Religionswissenschaftliches Seminar</ul>


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